5. Mai 2022
Ingo Elfering, Group CIO und CEO von Fresenius Digital Technology, erklärt im Interview wie unterschiedliche Ansichten, fachliche Hintergründe und Biographien die Lösungskompetenz fördern, und warum Diversität allein nicht reicht.
Indem wir möglichst unterschiedliche Menschen in einem Team zusammenbringen. Das betrifft alle Dimensionen: Geschlecht, kulturelle Hintergründe, aber auch fachliche Erfahrungen. Kreative und innovative Lösungen können nur dann entstehen, wenn es gelingt, verschiedenste Wissens- und Gedächtnisinhalte auf neue Weise miteinander zu verknüpfen. Daher muss man dafür sorgen, dass das Wissen und die Ideen der einzelnen Teammitglieder:innen nicht nur gehört und respektiert, sondern in der Organisation auch vernetzt werden.
Diese Heterogenität führt zu einer Vielfalt der Gedanken und der Herangehensweise an Herausforderungen. So können neue Lösungsansätze entstehen, auf die ein fachlich und kulturell homogenes Team vielleicht nie gekommen wäre.
Ja, gerne. Es geht in diesem Beispiel um die Erkennung gefälschter Medikamente. Sogenannte „Counterfeits“ sind in vielen Ländern ein großes Problem. Oft sind sie verunreinigt, enthalten keinen oder zu viel Wirkstoff und gefährden damit die Gesundheit und das Leben der Patient:innen. In Afrika hat ein Team der Non-Profit-Organisation mPedigree, das eigentlich gar nichts mit IT zu tun hatte, ein ganz einfaches System entwickelt, echte Medikamente von Nachahmungen zu unterscheiden. Auf den Pillenpackungen sind ein Registrierungscode und eine Telefonnummer abgedruckt. Sendet der oder die Käufer:in diesen Code per SMS an die angegebene Nummer, erhält diese:r eine Nachricht, ob die Nummer registriert ist. So kann die Echtheit des Medikaments überprüft werden. Die Lösung kostet nur einen Bruchteil alternativer Systeme, die etwa mit RFID-Chips arbeiten, und wird heute unter anderem in Indien eingesetzt. Typische IT-Expert:innen aus einem Industrieland wären wahrscheinlich gar nicht auf diese Idee gekommen, weil sie so simpel ist. Deshalb werde ich in meinem Leadership-Team auch ganz bewusst auf eine Vielfalt von fachlichen Erfahrungen und Biographien setzen und auch Führungskräfte ohne expliziten IT-Hintergrund mit einbeziehen.
… ja, absolut, wir sehen eine enorme Innovationsfähigkeit in den Entwicklungsländern, die oft zu einfacheren, kostengünstigeren und robusteren Lösungen führen als die Alternativen aus USA oder Europa – einfach weil vor Ort die Ressourcen knapp und die Umweltbedingungen für den Einsatz komplizierter Technik zu rau sind. In Indien wurde zum Beispiel ein einfaches mobiles Ultraschallgerät entwickelt, das wesentlich weniger komplex und günstiger ist als herkömmliche Modelle. Diese „Reverse Innovations“ lassen sich dann oft auch gewinnbringend in Industrieländern einsetzen.
Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem sich Menschen mit all ihren Unterschieden wohlfühlen. Die Vermittlung von Sinn ist bei der Talentsuche aber ebenfalls sehr wichtig. Laut einer Studie, die in Kooperation mit der Hochschule Koblenz durchgeführt wurde, erwarten 79 Prozent der jungen Talente, dass ihr Arbeitgeber dieselben Werte vertritt, wie sie selbst, 65 Prozent wünschen, dass er soziale und kulturelle Verantwortung übernimmt. Es ist daher kein Wunder, dass sich viele junge IT-Fachkräfte für den Pharmabereich entscheiden, weil sie hier mit ihrer Arbeit direkt Positives bewirken können. Daher ist es entscheidend, dass wir unseren Purpose nach vorne stellen und deutlich machen.
Eine ganz wesentliche. Vor allem bei der Datenanalyse und der Entwicklung von KI-Modellen haben Frauen Vorteile. Laut einer Untersuchung der CIA in den USA können sie Muster besser erkennen als Männer. Auch in der Terrorbekämpfung ist diese Fähigkeit ausgesprochen wertvoll, wie zum Beispiel die Memoiren der CIA-Analystin Nada Bakos zeigen.
Auch dafür gibt es gute Beispiele. So setzt beispielsweise SAP Menschen mit Autismus als Softwaretester:innen, Programmierer:innen oder in der Qualitätssicherung ein, weil diese sehr konzentriert arbeiten und auch kleinste Fehler finden.
Man sollte Unterschiede im positiven Sinn ignorieren. Wenn alle blau angezogen sind und einer kommt mit roter Hose und grünem Shirt – nicht lachen, einfach weitermachen.
Ich merke manchmal, dass meine Körpergröße die Leute einschüchtert.
Ich versuche, möglichst nicht zu stehen, sondern mich so schnell wie möglich zu setzen, ich lache viel und versuche zu signalisieren, dass ich nahbar bin und man keine Angst vor mir zu haben braucht.
Wir haben ein virtuelles Training für die Mitarbeiter:innen geschaffen, das aufzeigt, wie kognitive Verzerrungen unsere Entscheidungen beeinflussen. Wir alle unterliegen unbewussten Denkmustern, Stereotypen und Vorurteilen, die wichtige Entscheidungen beeinflussen. In dem Training lernen wir eigene kognitive Verzerrungen zu erkennen und unsere Entscheidungen somit noch bewusster zu treffen.
Für mich ist wichtig, dass die Impulse dafür aus der Belegschaft kommen. In USA sind sogenannte Employee Resource Groups (ERGs) sehr erfolgreich, in Europa und Deutschland hält das Konzept auch langsam Einzug. Dabei handelt es sich um Gruppen von Mitarbeiter:innen mit bestimmten Gemeinsamkeiten, etwa Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung oder gemeinsame Interessen. Ziel ist es sich zu vernetzen, gegenseitig zu fördern oder zu unterstützen. Es gibt ERGs für Frauen, Berufseinsteiger:innen, LGBTQ, Arbeitnehmer:innen mit Handicaps oder Mitarbeiter:innen aus unterschiedlichen Kulturen.
In meiner beruflichen Vergangenheit hatten wir in Costa Rica eine LGBTQ-Gruppe, die im Pride Month einige öffentlichkeitswirksame Aktivitäten durchgeführt hat. Das hat viele Menschen so begeistert, dass wir danach einen starken Anstieg an Bewerbungen feststellen konnten. In den USA hat sich eine Gruppe Schwarzer Kolleg:innen zum Thema „Dress for success“ zusammengefunden, um sich gegenseitig bei der richtigen Kleidungswahl für Karrieregespräche oder öffentliche Auftritte zu helfen.
Ich freue mich über jede neue Idee und stelle solchen Gruppen gerne ein Budget zur Verfügung. Ich habe gehört, dass sich zukünftig einige Kolleg:innen zu Diversity-Sessions, beispielsweise als „Brownbag"-Meetings, zusammenfinden möchten – informelle Treffen, bei denen die Teilnehmer:innen gemeinsam Mittag essen, sich zu Themen austauschen und sich spielerisch mit dem Thema Diversität auseinandersetzen. Bei solchen Sessions könnten sich Interessierte für ERGs zusammenfinden. Zukünftig möchte ich auch interkulturelle Anlässe feiern, wenn es Corona zulässt - wie etwa Chinese New Year.
Wir brauchen nicht nur Diversität, sondern auch eine inklusive Unternehmenskultur. Man darf die Menschen nicht nur zur Party einladen, man muss sie auch zum Tanzen auffordern. Und wir müssen es auch in Zeiten der Pandemie schaffen, dass zufällige Begegnungen mit Kolleg:innen wieder möglich sind, um sich zu finden - und nicht nur in geplanten Meetings.